Tolkemiter Erde – vergessene Manufaktur

Geschirr mit dem Weinrebemotiv

Ausstellungen


Das Gebäude des Betriebes "Tolkemiter Erde"

Das Gebäude des Betriebes „Tolkemiter Erde”

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Produktionszyklus der Keramik im Betrieb „Tolkemiter Erde”

Ausstellung der Erzeugnisse aus "Tolkemiter Erde" auf der Messe in Leipzig 1943

Ausstellung der Erzeugnisse aus „Tolkemiter Erde” auf der Messe in Leipzig 1943

Die Ausstellung „Tolkemiter Erde – vergessene Manufaktur” stellt Errungenschaften der heute unbekannten Werkstatt aus Tolkemit dar, die auch einen Beitrag zu Erforschungen des Tolkemiter Keramikzentrums leistet, aber die letzten fünfzig Jahre in völlige Vergessenheit geraten ist.

Tolkemit, seit Jahrhunderten neben Cadinen die wichtigste Töpferstätte an Frischem Haff, trug nicht ohne Grund den Namen „Töpferstadt”. In der besten Zeit, an der Wende des 19. und 20. Jahrhunderts, beschäftigte sich hier mit dem Töpferhandwerk jede zehnte Familie, wobei die Keramikproduktion auch im Ziegelwerk stattfand. Wie groß diese Erscheinung war, kann auch die Tatsache bestätigen, dass auf dem Frischen Haff Spezialsegelschiffe gefahren sind, die dem Transport des Keramikmaterials gedient haben, „Tolkemiter Lomme” genannt.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als es hier sechsundvierzig Werkstätte gab, kam die hiesige Töpferkunst allmählich herunter. Eine der Ursachen davon war die Verbreitung des emaillierten Blechgeschirrs. Nicht ohne Bedeutung war auch der Umzug der Fachkräfte zu der nahe gelegenen Ortschaft Cadinen, wo 1903 kaiserliche Majolika-Werkstatt Cadinen entstanden ist. Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Werkstattmenge zu siebenundzwanzig heruntergefallen, einige Jahre später dagegen wurden knapp neun notiert, und in 30-ger Jahren nur noch zwei – die Werkstatt von Johannes Seeger und die neu eröffnete Kunsttöpferei „Tolkemiter Erde”.

Diese Manufaktur wurde 1935 bei der Hafenstraße aus der Initiative der Verwaltung der Stadt Tolkemit gegründet, die dadurch die verschwundene Keramiktradition wieder ins Leben rufen wollte. Die ersten Jahre brachten keine Erfolge, weil es in der Töpferstadt fast keine ? Töpfer gab. Die meisten von ihnen haben jetzt in der nahe gelegenen Cadinen in der kaiserlichen Majolika-Werkstatt gearbeitet. Es war notwendig, die Töpfermeister von außen heranzuziehen. Um sich der Sorge zu entheben, hat der Bürgermeister von Tolkemit Bernard Schlie 1938 die Manufaktur dem Kaufmann aus Hamburg August Caspritz übergeben. Obwohl August Caspritz nie etwas mit der Keramik zu tun hatte, hat er schnell die Manufaktur zum blühenden Zustand gebracht und bald beschäftigte er dort sechzig Personen. Die Tätigkeit der Firma fiel in die schwierige Kriegsjahre und 1941wurde das Gebäude in Folge des Brandes schwer beschädigt. Trotzdem ging das Unternehmen gut bis Ende 1944. 1943 wurden die Produkte aus „Tolkemiter Erde” auf der Ausstellung in Leipzig gezeigt. August Caspritz übernahm auch das seit einigen Jahren stillgelegte Ziegelwerk, wo er nicht so anspruchsvolle Keramiksorten, wie z.B. Blumentöpfe, produzierte.

Die Erzeugnisse der Manufaktur knüpften hauptsächlich an die reiche örtliche Tradition an, obwohl man versuchte, der Mode nachzufolgen, wovon das Geschirr mit Art Deco Stilistik zeugt. Die traditionelle Form der Gefäße begleitete jedoch überwiegend traditionelle Malerdekoration, die aus Ziermotiven bestand, die entweder der örtlichen Flora und Fauna entnommen wurden, oder hier seit Jahrhunderten populäre umlaufende Rillen beziehungsweise Wellenlinien darstellten. Bei der Glasur wurden meistens solche Farben wie beige, braun, elfenbeinfarbig, grün, blau, grau oder schwarz verwendet. Die Dekoration war mit blauen, grünen oder braunen Farben gemalt. Alle Gefäße wurden traditionell, mittels Töpferscheibe, angefertigt und die Malerdekoration wurde mit der Hand aufgetragen. Die Erzeugnisse wurden mit dem in der Masse abgedrückten Wappen der Stadt Tolkemit (Eichendreiblatt) mit der Aufschrift „Tolkemiter Erde” signiert. Das Zeichen begleitete die Aufschrift „Ostdeutsche Handarbeit” oder „Ostdeutsche handgemalte ”

Der Krieg kam in Tolkemit erst im Januar 1945 mit der Roten Armee. Der Eigentümer der Firma August Caspritz mit seiner Familie begab sich auf die Flucht über das vereiste Frische Haff erst zwei Tage vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Tolkemit.

Während der Kriegshandlungen nahm die Manufaktur fast keinen Schaden. Kurz nach dem Kriege, im Juli 1946, wurde die Produktion unter der Firma „Bałtyckie Zakłady Ceramiczne” /Baltische Keramikwerke/ wieder aufgenommen. Das fehlende Werkzeug wurde ergänzt und Rohstoffvorrat vorbereitet. In die Stadt wurden auch Keramikspezialisten herangezogen. In der besten Nachkriegsperiode arbeiteten hier cirka fünfzig Personen, die einige Tausend Fertigprodukte herstellten. Die Fabrik hatte auch mehrere Aufträge und es schien, dass sie mit dem Vertrieb keine Probleme hat. Trotz der optimistischen Prognosen wurde schon im Dezember 1948 beschlossen, das Werk aufzulösen. In Liquidation blieb das Werk noch bis 1952, wobei man dann nur Blumentöpfe und Fischergeräte herstellte.

Die Kriegswirren verursachten, dass die das Vorkriegsschicksal der Werke betreffenden Dokumente verloren gegangen sind. Die Geschichte der „Tolkemiter Erde” gelingt es dank der Hilfe von Herrn Leo Lindner aus Hamburg (ehemaliger Bewohner der Stadt Tolkemit und unermüdlicher Chronist der Stadt) zu rekonstruieren, der persönlich den Eigentümer der Fabrik August Caspritz kannte. Die Nachkriegsepisode in der Geschichte der Werke wartet jedoch weiterhin auf eine ausführlichere Bearbeitung.

Die Manufaktur, die das Thema der Ausstellung darstellt, war nur neun Jahre als „Tolkemiter Erde” und praktisch nur zwei Jahre als „Bałtyckie Zakłady Ceramiczne” tätig. Ein halbes Jahrhundert lang war das Thema weder in Polen noch in Deutschland aufgenommen und deswegen ist die präsentierte Sammlung einmalig. Die Ausstellung in mittelalterlichen Kellerräumen des Hospizes zum Heiligen Geist ist schon die zweite Keramiksammlung aus der vergessenen Manufaktur im Nikolaus Kopernikus Museum. Die erste fand 1998-1999 im Bischofspalast statt.

 

Zestaw_Art_Deco_0 Geschirr im Art Deco Stil
OLYMPUS DIGITAL CAMERA Geschirr mit dem Weinrebemotiv
Talerz_bozonarodzeniowy_0 Weihnachtsteller vom Dezember 1944, eines der letzten Erzeugnisse der Manufaktur
Tolkemiter_Erde-sygnatura_0 Signatur der Manufaktur „Tolkemiter Erde”
OLYMPUS DIGITAL CAMERA Die im Betrieb „Bałtyckie Zakłady Ceramiczne” in den Jahren 1947 – 1948 hergestellten Vasen